Jerg
Ratgeb
und der Herrenberger Altar:
Jerg Ratgeb, Maler und Bauernführer. – Jerg (oder:Jörg) Ratgeb (eigentlicher Name: Jürgen Schütz, auch: Schützjürgen genannt), * um 1480 in Schwäbisch-Gmünd (oder Herrenberg), + (hingerichtet) 1526 in Pforzheim. - Jerg Ratgeb war ein bedeutender und umstrittener Maler der Dürerzeit, der Anfang des 16. Jahrhunderts im Stil der Spätgotik und der Frührenaissance (im Stil eines expressiven Frühmanierismus) malte. Als sein Hauptwerk gilt der Herrenberger Altar (s.unten). - Ratgeb malte und lebte "in den Wirren des Bauernkriegs"; für seine Unterstützung der Bauern wurde er 1526 gefangen genommen und grausam hingerichtet. Von seinem Martyrium her wurden seine Bilder oft politisch gedeutet, als Ausdruck der geschundenen Kreatur und als Protest gegen die Herrschenden. Zur Biographie Ratgebs: Geboren
wahrscheinlich in der Reichsstadt Gmünd war Ratgeb um 1500 für
einige Zeit in Italien, wo er die Malerei der Renaissance und des Manierismus
kennenlernte. Wahrscheinlich war er auch noch einige Zeit zu Studien in
den Niederlanden; jedenfalls werden Einflüsse der Niederländer
bei Ratgeb erkennbar, ebenso wie Einflüsse von H.Holbein und Matthias
Grünewald.
Inzwischen ist Ratgeb von Heilbronn nach Stuttgart gezogen. Er wird dort auch Mitglied des Rats der Stadt, der sich während des Bauernkriegs 1525 aufspaltet in Sympathisanten der aufständigen Bauern und Anhänger von Herzog Ulrich einerseits und Habsburgtreuen andererseits. Ratgeb gehört zur ersten Gruppe. Er lässt sich sogar von den Bauern, mit denen er schon seit den Bundschuh-Aufständen sympathisiert, zum Kanzler des Bauernhaufen wählen. Bald darauf, nach 3 Wochen, werden die Bauern in der Schlacht bei Böblingen vernichtend geschlagen. Ratgeb kann in Böblingen entkommen, er wird aber bald darauf in Pforzheim gefangen genommen. 1526 wird ihm ein kurzer Prozess gemacht; er wird zum Tod durch Vierteilung verurteilt wegen Beteiligung am Bauernkrieg und wegen Begünstigung des Einfalls Herzog Ulrichs von Wirtemberg. [Bild. (Foto M. Ebener) Zwei Tafeln der Altarvorderseite des "Herrenberger Altars" von Jerg Ratgeb (Staatsgalerie Stuttgart): Linke Tafel: Martersäule, mit den Szenen Geißelung, Christus an der Martersäule, Ecce homo und Christus vor Pilatus. Rechte Tafel: Kreuzigung, im Hintergrund Grablegung Christi, dahinter Kreuztragung.] Oben sind 2 der 4 Tafeln der Altarvorderseite des Herrenberger Altars von Jerg Ratgeb wiedergegeben: Linke Tafel: Martersäule, mit den Szenen Geißelung, Christus an der Martersäule, Ecce homo und Christus vor Pilatus. Rechte Tafel: Kreuzigung, im Hintergrund Grablegung Christi, dahinter Jesu Kreuztragung. (Die beiden anderen Tafeln der Altarvorderseite haben die Themen Abendmahl und Auferstehung.) Auf
den Tafeln wird der Malstil Ratgebs zwischen spätgotischem
Realismus und expressivem Frühmanierismus deutlich: da sind einmal
die hellen, fast fahlen Farben auf allen Bildern; dann die Verformung der
natürlichen Proportionen, die unnatürliche Längung der Figuren
z.B.; schließlich die Gestaltung des Hintergrundes, die gewaltsamen
perspektivischen Verkürzungen der Landschaft u.a.
Ein Detail auf dem linken Tafelbild stützt die politische und für seine Zeit aktuelle Interpretation von Ratgebs Herrenberger Altar: Bei der 3.Szene, der Verspottung Christi ("Ecce Homo"), läßt er die Habsburger Fahne mit dem Doppeladler über dem Wehrturm, wo die Feinde Christi sind, wehen. Die verhasste Fahne der Habsburger bei den Feinden soll indirekt die Verachtung für die Habsburger Besatzung Wirtembergs signalisieren und ein Zeichen der Verbundenheit mit dem vertriebenen Herzog Ulrich sein. Das Schicksal des Herrenberger Altars: Ratgebs Herrenberger Altar von 1521 stand nur kurz sichtbar in der Stiftskirche in Herrenberg. 1537 ließ ihn der erste lutherische Pfarrer in Herrenberg abbauen (vielleicht wegen der Ablehnung aller religiösen Bilder in der Frühzeit der Reformation; vielleicht weil man Ratgeb zu den "gottlosen Künstlern" rechnete, wie auch Matthias Grünewald, Tilman Riemenschneider und andere Sympathisanten der aufständischen Bauern). - 1548, zur Zeit des Interims, ließen spanische Truppen den Altar wieder in der Kirche aufbauen. Nach 1552 ließ man den riesigen Altar für einige Jahrhunderte einfach zuhängen, und 1891 verkaufte man den Altar dann "mit Rücksicht auf die teilweise unschönen Bilder" an die "Staatssammlung vaterländischer Altertümer" in Stuttgart; so kam der Herrenberger Altar in die heutige Staatsgalerie Stuttgart. [Literaturhinweis
zu Ratgeb: E. Kluckert, Vom Heiligen Hain zur Postmoderne. Eine Kunstgeschichte
B.-W., S. 90ff]
Ergänzungen zu Jerg Ratgeb: [Bild:
Bekannte Parteigänger der Reformation, aus W. Tübkes Monumentalgemälde
zur Frühbürgerlichen Revolution 1525, Panoramamuseum Bad Frankenhausen,
1989: Um einen Brunnen versammelt sind T. Riemenschneider, Jörg Ratgeb,
A. Dürer, M. Luther, L. Cranach, S. Brant, P. Melanchthon]
Ein Selbstbild Jerg Ratgebs vermuten Kunsthistoriker auf einem Tafelbild des Herrenberger Altars. Auf dem linken Innenflügel mit dem Thema "Maria Verlobung" sind wohl von dem Maler Ratgeb ein Selbstportrait und ein Bild seiner Frau eingefügt. Auf der beiliegenden Bildwiedergabe der Tafel "Maria Verlobung" sind die beiden Portraits von Jerg Ratgeb und von seiner Frau farbig eingekreist. (Das Bild stammt aus dem sehr guten und umfangreichen Artikel im Netz von Hans Holger Lorenz zu Jerg Ratgeb, zu finden unter http://www.bauernkriege.de/ratgeb.html )
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Weitere Web-Informationen zu Jerg Ratgeb:
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