Juden
und
jüdische
Gemeinden in der Geschichte in Südwestdeutschland:
Möglicherweise sind schon in den ersten Jahrhunderten Juden in den Kastellen und Siedlungen der Römer auch im Südwesten eingewandert; Zeugnisse gibt es dafür keine. I. Situation im Mittelalter seit dem 11. Jahrhundert: Die ersten Juden in Südwestdeutschland sind seit dem 11. Jahrhundert bezeugt. Im Mittelalter bestehen dann jüdische Besiedelung und jüdische Gemeinden in vielen Städten, z.B. in Wertheim, Freiburg, Lauda, Esslingen, Schwäbisch Hall, Ulm, Konstanz. [Bild (Marke Israel, Block 1985): Deckblatt der "Schocken- Bibel", Genesis, mit Miniaturen zu Adam und Eva und anderen biblischen Geschichten der 5 Bücher Mose. - Die hebräische Bibelhandschrift mit den Miniaturen entstand vermutlich in Konstanz um 1290, etwa in derselben Zeit wie die Weingarter Liederhandschrift. Sie stammt aus der Sammlung von Salman Schocken und befindet sich jetzt im Schocken- Institut in Jerusalem.] Die Juden stehen im Mittelalter zunächst unter kaiserlichem Schutz. Dennoch ist auch in Südwestdeutschland das Mittelalter voll von Verfolgung, Folterung, Ausweisung, Vernichtung, z.B. im Zusammenhang mit der Pestepidemie 1348/1349. Seit dem 14. Jahrhundert
wird das einträgliche Judenschutzrecht auf die Territorialherren,
bald auf alle Reichsstände, übertragen.
II. Situation für die Juden seit etwa 1500: In den verschiedene Herrschaftsgebieten (s. dazu Karte 4) entwickeln sich ganz unterschiedliche Regelungen, die weitgehend für Juden grausam und unerträglich sind; nur in einigen Gebieten können Juden wohnen und arbeiten: - Seit etwa 1520 werden in fast allen Reichsstädten im Südwesten (Ausnahmen sind Buchau und Wimpfen) die Juden vom dauerhaften Wohnrecht vollständig ausgeschlossen. Ähnlich ist es in den verschiedenen Gebieten Vorderösterreichs. - Im Herzogtum Wirtemberg
dürfen seit 1498 (bis 1805) keine Juden dauerhaft wohnen und arbeiten!
- Die lutherische Reformation hat hier genausowenig wie später der
Pietismus Veränderungen bewirkt; eher wirkte hier zusätzlich
christlicher Antisemitismus. Luthers Hetzschrift "Von den Juden und ihren
Lügen" hatte hier schreckliche Wirkungen.
- In der Pfalz und in Baden können sich vor allem nach dem 30-jährigen Krieg ab 1650 Juden wieder ansiedeln und jüdische Gemeinden bilden (z.B. in Heidelberg und in Mannheim). - Die aus den Städten vertriebenen Juden finden als Landjuden Aufnahme vor allem in kleineren Grafschaften (z.B. in Freudental), in Gebieten der Reichsritter, bei den Ritterorden und in den katholischen geistlichen Territorien. Jüdische Friedhöfe, die auf blühende jüdische Gemeinden hinweisen, sind in vielen kleineren Orten erhalten, z.B. in Freudental, Haigerloch, Nordstetten, Buttenhausen. Ende des 18. Jahrhunderts leben über 90 Prozent der Juden im deutschen Südwesten auf dem Lande; nur im heutigen Nordbaden gibt es jüdische Gemeinden in den Städten. |
III.
Gleichstellung der Juden im 19. Jahrhundert:
Ein wichtiges Ziel seit der
Aufklärung und der Französischen Revolution ist auch die Gleichberechtigung
der Juden. Erste Edikte dazu werden im Großherzogtum Baden 1807
erlassen, im Königreich Württemberg 1828. Aber die Emanzipation
verläuft nicht gleichmäßig: In Zeiten wirtschaftlicher
Krisen, wie etwa 1817, kommt es z.B. in Heidelberg, Mannheim und
anderen Städten im Großherzogtum Baden zu antijüdischen
Ausschreitungen und Plünderungen. Und die Revolution von 1848/1849
ist für die Juden im Südwesten durchaus zwiespältig: einerseits
bringt sie einen Schub in Richtung Gleichberechtigung; andererseits ist
sie an einigen Orten (z.B. in Buchen) mit Ausschreitungen verbunden: die
Empörung vieler Bauern richtete sich auch gegen die jüdischen
Geldverleiher.
[Bild (Marke Italien, 1998): Beispiel für ein Gleichstellungsgesetz aus Italien von 1848: 150. Jahrestag der Verleihung der vollen Bürgerrechte an die Juden durch Erlass des Königs Carlo Alberto von Piemont- Sardinien; Gedenktafel mit Gesetzestext an der Synagoge Casale Monferrato] Die Emanzipation ist auch verbunden mit einer erneuten Verstädterung der Juden. Der Anteil der Landjuden geht stark zurück; ein großer Teil der Juden lebt nun in den Städten. In den meisten größeren Städten in Baden und Württemberg bilden sich im 19. Jahrhundert jüdische Gemeinden, z.B. in Ludwigsburg und natürlich in Stuttgart. Es sind allerdings relativ kleine Gemeinden, nicht vergleichbar mit den großen jüdischen Zentren wie Breslau, Hamburg oder Berlin. Bürger jüdischen Glaubens (oder jüdischer Herkunft) gehören rasch zu den wohlhabenden und geachteten und integrierten deutschen Bürgern; oft bilden sie die kulturelle und wissenschaftliche Elite. Doch auch Predigten des Antisemitismus
fallen in der Zeit des Nationalismus und des Wirtschaftsliberalismus auf
fruchtbaren
Boden. So war etwa der evangelische Hofprediger und Leiter der Berliner
Stadtmission Adolf Stöcker ein wortmächtiger und einflussreicher
Politiker für den die Juden an allem Elend der Arbeiter schuld sind.
IV. 20. Jahrhundert: Weimarer Republik und Nationalsozialismus Berühmte Deutsche jüdischer Herkunft: "Was bliebe vom europäischen Verstande übrig, wenn man den jüdischen davon abzöge?" (F. Nietzsche) Von den vielen Nobelpreisträgern
und anderen berühmten Deutschen jüdischer Herkunft stammen
auch einige aus dem Gebiet Badens und Württembergs:
Längere Zeit in Baden oder Württemberg gelebt und gewirkt haben noch andere berühmte Wissenschaftler jüdischer Herkunft: der Physiker Heinrich Hertz (seit 1885 Prof. in Karlsruhe), der Chemiker Fritz Haber (seit 1898 Prof. in Karlsruhe), der Literaturhistoriker Friedrich Gundolf (seit 1911 in Heidelberg), der Philosoph Edmund Husserl (seit 1916 Prof. in Freiburg), der Arzt und Dramatiker Friedrich Wolf (seit 1921 in Hechingen und Stuttgart), der Jurist Gustav Radbruch (seit 1924 Prof. in Heidelberg) 1933 werden in Südwestdeutschland etwa 31.000 Einwohner jüdischen Glaubens gezählt (0,6 % der Gesamtbevölkerung). Zeit des Nationalsozialismus: Vertreibung und Holocaust Das Ziel der Vernichtung aller Juden begannen die Nationalsozialisten gleich nach Hitlers Machtergreifung im Januar 1933 in Aktionen und Gesetzen in Angriff zu nehmen: Boykott jüdischer Geschäfte, Einführung des Arierparagraphen, Nürnberger Gesetze von 1935, Pogrome mit der Zerstörung vieler Synagogen in der "Reichskristallnacht" 1938. Von 1933 bis 1939, vor allem nach der "Reichskristallnacht" 1938, emigrieren etwa 18.000 Juden aus Südwestdeutschland, die meisten können nach USA und Palästina gelangen. [Bild (Briefmarke BRD, 1988): 50.
Jahrestag der "Reichskristallnacht; Brennende Synagoge am 9.11.1938 in
Baden-Baden; "Das Geheimnis der Erlösung heisst Erinnerung"] 1940 beginnen die Deportationen von Juden aus Baden nach Gurs in den Pyrenäen; 1941 wurden die ersten Juden aus Württemberg in die Konzentrations- und Vernichtungslager nach Riga, Auschwitz, Theresienstadt verschleppt.. Nur wenige werden aus den Todeslagern lebend befreit. 1941 beginnen in den von den deutschen Truppen bestzten Ländern in Polen, im Baltikum und später in der Sowjetunion die Massenerschießungen fast der gesamten jüdischen Bevölkerung durch die deutschen "Einsatzgruppen" aus SS, Polizei und z.T. auch Soldaten der Wehrmacht. Mehr als 1 Million Menschen wurden so ermordet. Zusammen mit den Ermordeten in den Ghettos, in den Kriegsgefangenenlagern und in den Vernichtungslagern wie Auschwitz wurden etwa 6 Millionen Menschen, meist jüdischer Herkunft, ermordet. Die Kirchen haben gegen die Unterdrückung der Juden und ihre Vernichtung kaum protestiert oder Widerstand geleistet. z.B. die Evangelische Kirche: Auch die Innere Mission hat die Gesetze wie die Arierparagraphen ohne großen Widerstand für die eigenen Arbeitsbereiche akzeptiert und angewandt, teilweise aus Überzeugung, teilweise aus Taktik. Ähnlich hielt es die Kirchenleitung. Als ein Pfarrer nach der "Reichskristallnacht" in seiner Predigt das Unrecht deutlich beim Namen nannte wurde er von der Kirchenleitung gerügt und versetzt. Zur Ermordung der Juden wurde offiziell geschwiegen, auch vom württembergischen Landesbischof Wurm (der gegen die Euthanasie-Aktionen der Nazis doch deutlichen und wirksamen Protest angemeldet hatte). Dass Landesbischof Wurm lange Zeit ein Anhänger des antisemitischen Hofpredigers Stöcker gewesen war hat ihm dies Schweigen sicher erleichtert. Er hat seine Schuld im "Stuttgarter Schuldbekenntnis" nach dem Krieg auch deutlich bekannt. Nicht vergessen darf daneben sein dass viele Christen zur Zeit des Nationalsozialismus Juden unterstützt, versteckt, gerettet haben. Es gab in Berlin das Büro Heinrich Grüber das vor allem für christliche Juden Anlaufstelle war. Es gab auch im Südwesten Helfer wie Albrecht Goes, Hermann Maas u.a. Neue jüdische Gemeinden nach 1945: Nach 1945 entstehen
langsam wieder jüdische Gemeinden auch im deutschen Südwesten.
Es sind zunächst einige wenige jüdische Überlebende des
Holocaust, die trotz allem wieder in Deutschland leben; später kommen
auch Rückwanderer von Emigranten und deren Nachkommen dazu.
-
Weitere Web-Informationen zu jüdischen Gemeinden, Synagogen, Gedenkstätten,
Friedhöfen in Südwestdeutschland, jüdische Gemeinden nach
1945:: http://www.lpb.bwue.de/gedenk/gedenk1.htm
|
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________________